Fair play auf Bosnisch
Am Freitag brachen Lotte und ich zu unterschiedlichen Zeiten zur Arbeit auf: Sie sollte um acht Uhr da sein, was dann Aufstehen um 6 Uhr bedeutete, ich dagegen wieder um 11 Uhr. Für die Erzieherin war es wichtig, dass ihre Kollegin morgens unterstützt wird, damit diese zum Beispiel Kinder wegbringen bzw. abholen kann und das Zimmer gleichzeitig beaufsichtigt ist.
Vor und nach dem Mittagessen ging es dann wieder mit dem großen Mädchen in den kleinen Raum. An diesem Tag war es für mich irgendwie schwierig, eine gute Beschäftigung zu finden und sie bei Laune zu halten. Es ging einfach nicht so locker, wie an den Tagen und in der Woche zuvor.
Als Lotte sich nach ihrer Schicht verabschiedete, machten wir uns gerade auf den Weg in sie Sporthalle. Da der Junge, auf den sie aufpassen musste, aber noch da war, hatte ich in der Halle ein Auge auf ihn. Das war nicht so leicht für mich: Denn der autistische Junge tollte auf diesen großen Schaumstoffgebilden in Dreieck – und Brückenform herum. Ich fand das eigentlich gut, denn grade bei autistischen Kindern ist es ja häufig so, dass das Körperliche unterentwickelt ist und sie sich deswegen nur wenig bewegen. Dieser Junge aber tat das und zudem passte ich ja auf, dass nicht passierte. Außerdem hatte er Spaß (auch wenn es aus „normalen“ Augen betrachtet eher komisch ist, wenn ein Kinder im immer gleichen Schema über eine Bank läuft, anschließend auf eine dicke Turnmatte klettert, um dort eine Rolle zu machen und dann ein dreieckiges Gebilde hochläuft, von dort herunterspringt, um dann wieder von vorn zu beginnen). Die Erzieherin bat mich jedoch, ihn dazu zu bringen, auf der Bank sitzen zu bleiben. Das tat er dann. Für 30 Sekunden. Ich hätte ihn gerne laufen lassen, fragte mich aber, was die Erzieherin dann über mich denken würde und hielt den Jungen am Oberkörper, den Füßen und Armen fest. Das gefiel ihm gar nicht und er begann sich zu wehren. Ganz schön viel Energie konnte er aufbringen! Bald dachte ich mir „Was soll’s? Ich achte ja darauf, dass er sich nicht verletzt“ und ließ ihn mit meiner Unterstützung seine Runden drehen. Probleme mit der Erzieherin gab es nicht. Sehr bald wurde er dann abgeholt.
So gesellte ich mich zum Rest der Gruppe und begann, Volleyball mitzuspielen. Dabei wurden zwei Gruppen mit der Erzieherin und mir jeweils als Leiterin eingeteilt, und wir spielten so, dass derjenige, welcher den Ball entweder unkontrolliert und für die anderen unerreichbar spielt, und / oder derjenige rausfliegt, der einen gut erreichbaren Ball der anderen nicht verwerten kann. Sehr bald wurde es anstrengend, denn zwei etwas ältere Kinder spielten auf unfaire Weise (dazu muss gesagt werden, dass wir bei ihnen eine Art Lernschwäche vermuten. Auf allgemein festgelegte Weise „geistig behindert“ scheinen sie nicht zu sein): Die beiden spielten so, dass die anderen Kinder möglichst schnell rausfliegen. Dazu sprangen sie immer zur Seite, wenn ein Ball auf sie zugeflogen kam und taten allgemein so, dass nahezu jeder Ball, der für sie bestimmt war, schlecht gespielt war. Die betroffenen Kinder winkten sie dann immer gehässig weg und riefen „Ciao!“. Ich sah mir das ein paar Mal an, weil ich nicht genau wusste, ob oder wie ich eingreifen sollte. Dann griff ich durch und machte klar, wer in jeder Runde „rausfliegen musste“. Das gefiel den beiden natürlich gar nicht, und sie begannen mit, ich nenne es mal Nervtaktik. Das ignorierte ich so gut es ging.
Nach einiger Zeit wurden die Gruppen getauscht, und ich spielte mit den Kindern, die das Pritschen nicht so gut beherrschen. Sie sollten sich dafür auf eine Höhe mir gegenüber stellten, damit ich abwechselnd zu jedem Kinde pritschen konnte. Die ersten Runden ging es auch ganz gut; dann fingen zwei Jungen an, bei den für die anderen bestimmten Bällen dazwischen zu greifen. Förderlich für den Spielfluss war das nicht. Ich machte ihnen mit deutschen Wörtern und Zeichensprache klar, dass sie aufhören sollen oder aber auf die Bank wandern. Ab dann wurde es besser.
Ich vermute, dass das alle Kinder dort „gute“ Kinder sind. Vor allem die beiden letzten Jungen waren mir vorher gegenüber nett gewesen und sympathisch erschienen. Wie das so oft ist, wollten sie sich glaube ich einfach nur aufspielen und fühlten sich cool. Bei dem Jungen und dem Mädchen aus meiner Gruppe ist es so, dass sie ohne Eltern sind und sie wissen, dass sie, um gut durchzukommen, ihren Kopf durchsetzen und für sich selbst kämpfen müssen.
Das hat die Erzieherin mir später ebenfalls erzählt, nachdem ich wir noch draußen waren und ich mit den beiden und einem weiteren Jungen Fußball gespielt hatte. Ich sagte ihr, dass ich mir das sehr gut vorstellen und das auch nachvollziehen kann.
Nach der Arbeit traf ich mich wieder mit Goran. Wir machten uns auf den Weg zu ihm nach Hause (Ja,so sah ich natürlich die süße Frau Drinic wieder. Sie bedankte sich noch einmal für das Körnerkissen, das ich ihr mitgebracht hatte: „Viele Dank für Denken an meine Gesundheit!“). Wir genossen den Ausblick vom Balkon des Hauses und wurden von Frau Drinic mit einem Fruchtcocktail (Obst aus dem eigenen Garten) verwöhnt. Dabei führten wir echt gute Gespräche.
Zu Hause hatte Lotte ein fabelhaftes Essen gekocht: Gnocchi angebraten, dazu tolle selbstgemachte Pilzsauce und Salat. Himmlisch!
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