Der Tag startete, wir nun jeder Tag starten würde: Eine Viertelstunde vor dem Frühstück stand das freiwillige Gebet im Gruppenraum an. Wir sangen zwei Lieder (normalerweise eines auf Kroatisch, das andere auf Deutsch) und dazwischen war die Möglichkeit für Fürbitten.
Nach dem Frühstück trafen wir in der Kathedrale den dortigen Priester. Er erzählte uns über die Anfänge, den Bau und die Geschichte der Baute und über die Katholiken.
Der zweite Programmpunkt war die Synagoge. Um sie besichtigen zu können, bekamen die Jungs diese kleinen Hütchen auf den Hinterkopf gesetzt.
Der Innenraum der Synagoge gefiel mir sehr gut. Und auch der Mann dort konnte sehr gut Englisch sprechen. Er zeigte und erklärte uns wichtige Utensilien und Gegenstände des Raumes und einer Messfeier. Natürlich auch etwas über die Geschichte der Juden in Sarajevo.
Abschließend besuchten wir die große Moschee. Dort waren es dann nicht die Jungs, die sich äußerlich verändern mussten, sondern wir Mädchen. Die mitgebrachten Tücher wickelten wir uns um die Köpfe und dann ging es herein.
Erklärt bekamen wir alles von einem jungen Mann im Anzug. Höhepunkt der kleinen Führung war, als es um die Platzordnung in Moscheen ging: Die Männer beten ganz vorne, dahinter halten sich die Frauen auf. Wir fragten, warum das so sei, und der junge Moslem antwortete, dass dies so sei, weil sich die Männer mit einer Frau im Blickfeld nicht mehr auf das Beten konzentrieren könnten. Ivana fragte, warum es denn dann für Frauen möglich sei, mit einem Mann vor sich zu beten. Schließlich hätten Frauen ja auch Gefühle und würden die Augen nicht zu machen. Nun, das sei möglich, so der Moslem, weil Frauen einfach nicht so starke Gefühle wie Männer hätten. Natürlich könne man nicht bestreiten, dass Frauen Gefühle hätten, aber für sie sei es leichter, denn sie würden nicht so intensiv fühlen.
Innerlich kochte es in mir! Ich hasse, hasse, hasse diese Diskriminierung! Die alleine macht mich schon rasend. Aber was mich noch wütender macht, sind diese Erklärungen, die dann abgegeben werden. Dass alles schöngeredet wird und Kritik mit diesen bescheuerten Selbstverständlichkeiten zu ersticken versucht wird.
An Ivanas Blick sah ich, dass auch sie nicht sehr begeistert war. Am liebsten hätte ich laut geschrien. So war ich froh, endlich wieder an der frischen Luft zu sein und mich mit den anderen darüber unterhalten zu können.
Dann stand circa eine Stunde Freizeit an, in der ich das erste Mal in diesem Jahr Cevapi aß (besser bekannt als Cevapcici).
In der nächsten halben Stunde wurde ich wieder ein bisschen traurig, denn mir wurde mal wieder meine Schusseligkeit bewusst. Ich hatte ja mein Monatsticket verloren, und das hätte ich gebrauchen können. Wir fuhren nämlich zusammen in den Quellpark Vrelo Bosne. Dort war ich auch schon 2009 gewesen. Ich hatte es ganz schön in Erinnerung, war aber nicht etwas, über das ich vor Freitag gesagt hätte „Wow, das wird sooooooo toll dort!“
An der Endstation der Tram stiegen wir aus und der Fußmarsch zum Park begann. Zunächst durch ein Viertel mit vielen Cafés, Buden und kleinen Kneipen. Dort waren viele Menschen unterwegs, es gab eine Schule und Einkaufmöglichkeiten. Wir überquerten den Fluss und sahen und rochen das Resultat der fehlenden Umweltpolitik Bosniens. Ein sehr ekelhafter Geruch stieg vom Wasser hoch zur Brücke. Unfassbar viel Abfall, Müll und Unrat schwamm im Strom des Flusses mit und säumte seine Ufer. Ein Zufluss auf der linken Seite sah sehr unnatürlich und verdreckt aus; dunkelgrüne Wasser, das nahezu gar nicht in Bewegung war. Wahrscheinlich chemische Abflüsse.
Am anderen Ufer offenbarte sich uns ein ganz anderes Bild. Ein Weg führte durch Grünflächen hindurch, Bäume und Gebüsche auf den Wiesen. In der Ferne ragten prächtige und gepflegte Gebäude empor. Unter anderem ein Hotel, wie wir bald sahen. Blumenbeete in sämtlichen Formen und Farben, ein Springbrunnen.
Der Weg ging dann bald eine Allee über. Bäume im braun-orangenen Kleid säumten den Weg; ihre Blätter und Kastanien lagen verstreut herum.
Diese Atmosphäre hat mir so sehr gefallen. Alles wirkte so friedlich, man konnte die Natur so stark fühlen. An der Allee hatten sich auch Menschen angesiedelt. Ihre Häuser wirkten nicht nur gepflegt, ordentlich und schön, sondern sahen auch teuer aus. Einige waren protzig, anderen fand ich sehr schön.
Die Allee zog sich und zog sich; wir sahen gar kein Ende. Aber das brauchte ich auch nicht, denn mir gefiel dieser Fußmarsch. Endlich mal an sauberer, frischer Luft und endlich mal richtig Natur erleben in Sarajevo. Ein wenig hat mich das alles an Schweden erinnert. Ich liebe dieses Land einfach. Vielleicht ist es das Bullerbü-Syndrom, also vielleicht habe ich nur eine Idealvorstellung vor Augen, aber die Natur und alles dort oben gefallen mir sehr.
Nach Kastanienschießen und Schokoladeessen kamen wir am Park an. Er sah ziemlich verlassen aus; die einzigen Menschen, die wir sahen, waren Kutscher bei ihren Pferden und Kellner in einem Café, das wir bald drauf besuchten. Ich gönnte mir eine heiße Schokolade und die tat echt gut! Das schöne herbstliche Gefühl war komplett.
Bis auf zwei, drei war die ganze Gruppe versammelt. Wir quatschten und genossen unsere Getränke. Gegen Ende zog sich die deutsche Gruppe zurück, um den Deutschen Abend zu planen und anderes zu besprechen.
Für den Rückweg verteilten wir uns auf die Kutschen am Eingang des Parks. Ich saß mit einer Bosnierin und zwei Deutschen in einer. Die Fahrt war einfach genial. Wir hatten unglaublich viel Spaß und lachten extrem viel. Ich glaube der Kutscher hat uns für verrückt erklärt ;-).
Ansonsten war der Abend nach dem Essen nicht spektakulär.