Da unser morgendliches Treffen mit Lucija verschoben worden war, fand es am Mittwoch, den 19.10. stand.
Ich begann über die Zeit mit der Gruppe zu reden. Ich sagte, dass einerseits toll war, neue Leute zu treffen, kennenzulernen, ihnen die Stadt und unsere Arbeit zu zeigen und sich mit ihnen auszutauschen. Andererseits war es komisch, mit so vielen Leuten auf einmal wieder Deutsch zu reden. Außerdem kam ich wieder in das deutsche Leben und Denken hinein; sie alle erinnerten mich so sehr an meine Heimat.
In Egipat war es dann entspannt und schön. Denn heute hatte ich nicht viele Kinder. Zu Beginn einen unglaublich süßen Jungen. Wenn wir zum Beispiel das englische Wort „clap“ lesen, klatscht er immer in die Hände. Er kam irgendwann auf die Idee, mir Kroatisch beibringen zu wollen. Alle englischen Wörter, die wir lernten, sagte er immer noch einmal auf Kroatisch und ich musste sie nachsagen. Er war ziemlich begeistert, wenn ich eines aussprach. Doch langsam wurde es dann anstrengend, denn anscheinend hatte er vergessen, dass ich ihm eigentlich etwas beibringen wollte und so stand ihm der Kopf bald nicht mehr nach Englisch. Doch das musste ja sein. Also überzeugten ich ihn und Englisch wurde fortgesetzt.
Später half Lotte dem großen Bruder des kleinen Jungen. Er ist das Englischtalent! Wie er uns immer wieder beeindruckt mit seinen Kenntnissen.
Aber er ist nicht nur sprachbegabt, er ist auch lernsüchtig. Schon am Montag wollte er unbedingt kleine, von Lotte geschriebene Tests ausfüllen. An diesem Tag bekam er gar nicht genug davon. Nach zweien war noch lange nicht Schluss. „Za kontrola!“ Doch irgendwann war dann Essenszeit. Schwester Anja holte uns und auf dem Flug quatschten wir ein wenig mit ihr. Währenddessen trat ein Mädchen auf den Flur, sah Schwester Anja und es gab kein Halten mehr. Sie stürmte auf sie zu, sprang in ihre Arme und klammerte sich an ihr fest.
Ich fand diesen Moment sehr schön. Wie die beiden einfach strahlten. Wie die Liebe zur anderen Person praktisch aus ihren Augen und Mündern heraussprang. Das Mädchen unterstrich ihre Bindung zu der Nonne und drückte ihr alle paar Sekunden Küsse auf die Wange. Schwester Anja lachte einfach nur. Irgendwie hat mich die Situation bewegt und berührt. Es muss nicht sein, dass das Mädchen und ihre Schwester keine Eltern mehr haben; es ist höchstwahrscheinlich so, dass ihre Familie weit außerhalb Sarajevos lebt und so nicht für den Schulbesuch ihrer Kinder einstehen kann. Wahrscheinlich sind es liebevolle Eltern.
Aber trotzdem ist es für Ana bestimmt nicht leicht. In einem Heim leben zu müssen. Von der Heimat und der Familie getrennt sein zu müssen. Und Gefühle auszuhalten, die Kinder aus Familien ohne Geldprobleme sich nicht vorstellen können. Und da schien die Nonne ein Anker zu sein. Ich muss sagen, ich hätte als Kind vor einer Nonne in ihrer Kleidung viel Respekt, wahrscheinlich schon eine Art Angst gehabt. Aber heute bei dem Mädchen war das das Gegenteil. Und ich kann nicht genau sagen warum, gar es beschreiben, aber das fand ich schön.
Nach dem Mittagessen ging es dann für Lotte mit dem Jungen weiter. Da er immer noch verrückt nach den Tests war, hieß es für Lotte sich wieder zwei bis drei Aufgaben ausdenken. In der Zeit stapelte er dann immer das große Wörterbuch des Hauses und mein kleines Langenscheidt, nahm sich sein Radiergummi, hielt es in einem bestimmten Winkel zum Tisch und schnipste es dann mit dem Ziel, mein kleines Wörterbuch umfallen zu lassen. Schnell zog er mich mit in das Spiel ein und so versuchte auch ich mein Glück.
Ein einfaches Spiel zum Zeitvertreib. Einfach, aber dafür hatten wir umso mehr Spaß. Was für unglaubliche und lustige Flugbahnen das Radiergummi einschlug.
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