Oh je, oh je. So lange liegt die Zeit mit der bosnisch-deutschen Gruppe schon zurück. 1,5 Monate! Ziemlich lange. Und leider ist meine Erinnerung an diese Zeit auch nicht mehr die allerstärkste…
So werde ich einfach eine kleine Zusammenfassung der Gruppentage schreiben, während die anschließenden Tage (im Alltag) wieder, wie immer, veränderte Einträge meines Tagebuches sind, um dann bald wieder im Jetzt anzukommen und meinem Blog wieder Leben einzuhauchen.
Der zweite Tag in Travnik.
Wenn ich mir die Tabelle mit dem Programm der zehn Tage durchlese, bei diesem Tag hängen bleibe und mich erinnere, kommen mit Abstand die bedrückendsten Erinnerungen hoch.
Zunächst stiegen alle in den Reisebus, der uns zu einem abgelegenen Kloster brachte. Ich meine mich zu erinnern, dass dort Franziskanermönche leben.
Einer von diesen führte uns in der Kirche des Klosters zunächst in die Geschichte und die Vergangenheit dieses Ortes ein. Er erzählte unglaublich viel.
Etwas bildlicher und greifbarer wurde es dann auf den Gängen des Klostergebäudes. Wow, so viele Bilder außerhalb eines Museums hatte ich noch nie gesehen. Ein leerer, weißer Fleck an den Wänden war dort praktisch eine Ausnahme.
Viele verschiedene Werke schauten wir uns an. Abstrakte, einfache, verwirrende, klare, große, kleine; eine echt große Bandbreite. Obwohl ich ein wenig überfordert war und mich kaum auf einzelne konzentrieren konnte, sprangen mir doch ein paar ins Auge und gefielen mir sehr gut.
Da es draußen echt windig und regnerisch war, taten der warme Tee und der heiße Kaffee beim kleinen Imbiss anschließend sehr gut. Ein wenig durchatmen und ausruhen.
Bevor wir wieder in unseren Bus stiegen, schossen wir noch ein Gruppenfoto und nahmen den Mönch, der uns geführt hatte, natürlich in unsere Mitte.
Zu unserem nächsten Ziel brauchten wir nicht allzu lang. Dafür blieben wir umso länger dort. Grund dafür waren die dampfenden und duftenden Pizzen auf unseren Tischen, die nur für die Begegnung mit unseren Mündern gebacken worden waren. Mh, lecker! Und vor allem schmeckten die unglaublich großen Exemplare auch nach einer richtigen italienischen Pizza. Denn von süßer Tomatensoße und massig Ketchup keine Spur!
Wie unwichtig und nichtig so eine leckere Pizza aber sein kann, wurde mir sehr bald bewusst.
Von außen sah die Kirche modern und jung aus. Innen dann das gleiche Bild. Und Jugendarbeit sei ein großes Thema, wie der Pastor uns erzählte.
Doch bald wurde aus dem guten ein bedrückendes Gefuehl in der Magengegend.
Die Bänke im Innenraum waren etwas, was hatte nicht modernisiert werden sollen. Etwas, was den Gemeindemitgliedern wichtig gewesen war. Die Bänke sind eine Art von stummen Zeugen.
Und Zeugen, selbst wenn sie stumm sind, vernichtet man nicht. Sie sind wichtig. Auch wenn sie, und vielleicht gerade weil sie schlechte und schlimme Erinnerungen wecken können.
In Nova Billa sind das die Erinnerungen an eine schwarze Zeit. Die Gemeinde stand unter Beschuss, wie nahezu jede Siedlung im jetzigen Bosnien-Herzegowina. Granaten und Gewehrgeschosse pfiffen durch die Stadt. Zerstörten Häuser, Gebäude, Behausungen, mühevoll Errichtetes, Lebenswerke; und auch Familien.
Man kann sagen, die Bänke haben alles Leid aufgesaugt. Auf ihnen wurden die Verletzten verarztet, sie lagen auf ihnen, warteten auf ihnen, schliefen, durchstanden unglaubliche Schmerzen, weinten, starben, erholten sich, wurden gesund, litten.
Der Pastor sagte, man müsse sich die gesamte Kirche als ein großes, provisorisches Krankenhaus vorstellen. Hier hatten Ärzte und einfache, provisorische Instrumente und Utensilien Platz gefunden.
Zwischen den geraden, ordentlichen Reihen der Bänke, in dieser so modernen und nach außen hin strahlenden Kirche bedrückte mich das unglaublich. Meine Vorstellungskraft war irgendwie nicht ausreichend. Zu wissen, oder vielmehr zu ahnen, was auf demselben Fußboden, auf demselben Holz der Bänke vor ca. 15 Jahren geschehen war, das überforderte mich.
Das bedrückende Gefühl im Magen wurde in Räumen hinter der Kirche in Bilder gefasst.
Es fällt sehr schwer, das zu schreiben…
Wir sahen unglaubliches Leid. Körperliches und seelisches. Kinder, Frauen, Männer, alte Menschen, Neugeborene. Alle.
Es gab einige Bilder, die mich besonders intensiv bewegten.
Da sitzt eine Familie um einen geöffneten Sarg. Man kann erkennen, dass sie ein sehr junges Familienmitglied verloren haben. Den Ausdruck in ihren Augen und in ihren Gesichtern kann ich nicht beschreiben.
Da schaut dich ein Mädchen an. Klammert sich irgendwo fest. Man erkennt die Umrisse eines Bettes. Automatisch wandert dein Blick ihren Körper herab. Und du siehst, dass sie beide Beine verloren hat. Ihre Augen…
Während alle Gruppenteilnehmer an den Wänden hergingen, war es extrem still. Mir selber liefen still die Tränen herunter, einigen anderen auch.
Als ich mich im Besucherbuch für diese Ausstellung bedankte und schrieb, wie bemerkenswert und enorm wichtig ich sie finde, war das mein voller Ernst. So schlimm, und gleichzeitig so ungemein wichtig.
Anschließend erfuhren wir die Gastfreundlichkeit in Bosnien. Der Pastor lud uns praktisch in sein privates Wohnzimmer ein und servierte heißen Tee, alle möglichen Getränke, Snacks und Süßigkeiten.
Obwohl die Stimmung in der Gruppe gut war, viel gelacht und gescherzt wurde, hatte zumindest ich das Gefühl, dass das eine Art Schutzreaktion war. Schutz vor den schlimmen, gerade vorher gewonnenen Eindrücken. Bei mir was das zumindest so.
Während des Zusammensitzens wurde ein Thema besprochen, das schon beim Mittagessen im Mittelpunkt gestanden hatte: Für den nächsten Tag stand Wildwasserrafting auf dem Programmplan. Da hatte ich mich drauf gefreut! Etwas, was man wohl so schnell nicht noch einmal erleben konnte.
Leider war es nur so, dass die Verantwortlichen das Wetter als zu schlecht ansahen und die Anzahl der Kranken sollte nicht noch weiter steigen.
So begann dann eine hitzige Diskussion. Rafting? Oder der Alternativvorschlag Dubrovnik. Besagte Alternative hörte sich zunächst toll an. Die Stadt soll wunderschön und definitiv einen Besuch wert sein. Und auch hier: wann würde man wieder so eine Möglichkeit bekommen?
Der Haken bei der Sache: die mindestens sechsstündige Fahrt. Das würde heißen, wir müssten gegen 7 Uhr in Travnik mit all unserem Gepäck aufbrechen (denn es wird der letzte Morgen dort sein) und dann bis zum frühen Nachmittag im Bus sitzen. Dann aus letzterem springen, uns in Eile die Stadt anschauen und dann am frühen Abend die Rückreise antreten, da wir ja auch nicht zu spät in Mostar (unserem nächsten Aufenthaltsort) ankommen dürften.
Das hatte ich im Hinterkopf, und da wir beim Rafting von Kopf bis Fuß in einen wasserdichten Neoprenanzug gekleidet sein würden, machten mir das Wetter und mögliche Gesundheitsgefährdungen auch keine Angst.
Die Mehrheit der Gruppe sah das aber anders.
So musste ich mich dann wohl unterordnen, und stand am nächsten Morgen munter mit meinem Gepäck neben den anderen, um den Bus zu besteigen.
Bei den sechs Stunden blieb es dann nicht.
Dubrovnik erreichten wir gegen halb 3.
Und wirklich eine tolle Stadt! Die Fahrt durch Kroatien war ja schon schön gewesen; viele kleine Orte, malerisch und wunderschön am hellblauen Wasser gelegen. Aber Dubrovnik raubte einem praktisch den Atem.
Nach einer Stadtführung durch die engen Gassen und wichtige Gebäude, hatten wir anschließend Freizeit am kleinen Strand der Stadt. Es blieb natürlich Zeit, Souvenirs zu kaufen und weiter die Stadt zu erkunden.
Gegen Abend erreichte Dubrovnik dann noch einen höheren Wert auf der Schönheits-skala. Ein toller Sonnenuntergang und eine schöne Atmosphäre in der Stadt (unterhalb des Textes werde ich Fotos hochladen).
Bedingt durch eine Panne und einem Nachtmahl in einem 4-Sterne-Hotel (ich weiß bis heute nicht, warum) kamen wir nach Mitternacht in Mostar an.
Eine kleine, schöne und gepflegte Pension erwartete uns dort. Meinen Koffer zog ich noch ins Zimmer zu Charlotte, dann ließ ich mich völlig fertig ins Bett fallen.
Ich kann es immer noch nicht glauben, wie sehr Fernsehen Sprachkenntnisse beeinflussen kann. Im positiven Sinne wohlgemerkt.
Es musste ein deutscher Student sein. Zwar hatte ich beim Frühstück herausgehört, dass der Freund einer bosnischen Teilnehmerin die Stadtführung machen würde, aber da musste ich etwas nicht verstanden haben. Da stand definitiv ein in Bosnien studierender Deutsche vor mir.
Nein, so war es aber nicht. Ein in Bosnien studierender Bosnier war es. Ein Jahr lang hatte er als 5-jähriger in Deutschland verbracht.
Das würde erklären, warum man Grundkenntnisse der deutschen Sprache beherrscht.
Aber es würde noch nicht erklären, warum man völlig akzentfrei, wie ein Deutscher spricht, und dabei Fachausdrücke benutzt, die einigen Gruppenteilnehmern nicht einmal geläufig waren.
Das mache das Fernsehen, so unser Stadtführer. Er ist in Mostar geboren worden und aufgewachsen und weiß so viel über diese Stadt. So war die Führung definitiv nicht langweilig und keine Standard-Stadtführung.
Mit der Mehrzahl aller wichtigen Orte in Mostar bekannt, wurde die Gruppe dann getrennt, um in Kleingruppen ein Stadtspiel zu bewältigen. Dafür mussten Aufgaben erfüllt werden, wie z.B. das Ausdenken eines zweisprachigen Songtextes über Mostar und eine dazu passende Choreographie.
Ziemlich lustig das Ganze!
Die Ergebnisse der Songtext-aufgabe wurden dann beim Abendessen vorgestellt. Diese fand für unsere Zeit in Mostar in einem gemütlichen, kleinen Restaurant statt.
Zu einem Wallfahrtsort ging es am Freitag (14.10.). Medugorje ist über die Grenzen Bosniens bekannt und so reisen viele auch ausländische Besucher alljährlich dorthin.
Offiziell, also vom Vatikan als Wallfahrtsort anerkannt, ist Medugorje nicht. Im letzten Jahrhundert soll einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen die heilige Maria erschienen sein. Ort des Geschehens sei ein Berg, oberhalb der Gemeinde.
Und so bestiegen wir diesen nach Besichtigung der Kirche und der Anlage.
Das dauert ziemlich lange, anstelle eines erdigen Weges muss man ein Geflecht aus Steinen bewältigen.
Oben angekommen konnten wir dann aber eine lohnenswerte Aussicht genießen und an einem Denkmal zur Ruhe kommen.
Später besichtigten wir dann ein Ethno-Dorf; also eine Anlage, die die Lebensweise vor vielen Jahren hautnah zeigen soll.
Beim Abendessen bekamen wir die bosnische Lebensweise ebenfalls hautnah mit. Denn im Kamin des Restaurants wurde für uns in einer feuerfesten Form eine typisches Gericht zubereitet. Es bestand aus Kartoffeln, Paprika und Fleisch und schmeckte echt gut!
Am Samstag, den 15.10. war die gemeinsame Zeit dann schon vorüber.
Nachdem wir wieder in Sarajevo angekommen waren, hieß es Abschied nehmen am Flughafen. Ich muss sagen, das viel mir schon ein wenig schwer. Einige deutsche Teilnehmer hatte ich gut kennengelernt und mich auch gut mit ihnen verstanden.