Sarajevo ist kriminell! Sarajevo ist ein Dieb! Ein ganz gefaehrlicher Dieb. 
Ein Dieb, der skrupellos ist und auf nichts und vor allem auf niemanden Ruecksicht nimmt. Auch ich bin ein Opfer geworden; fast unmerklich. 
Sarajevo klaut Zeit! 
Ja, so ist es. Man muss aufpassen, wenn man sich ahnungslos als Freiwillige hier niederlaesst, und guten Willens ein begrenztes Leben beginnt. Die Stadt mach mit einem, was sie will, der eigene Zeitplan ist von jetzt auf gleich nichts mehr Wert. Schon hat ihn der knarzende Trolejbus ueberrollt, oder das stinkende Wasser der Miljacka hat ihn verschlungen.
Jaja, so ist das!
Schade, das alles koennte eine wahrhaft gute Erklaerungn fuer den Scheintod meines Blogs sein. Aber ich muss mir eingestehen, dass ich es schlicht nicht auf die Reihe bekommen hab und mein Stess in den letzten Wochen nicht zu gering war.
Ich gestehe mich schuldig.
Aber hey, Sarajevo ist nicht so unschuldig, wie man denkt! :)
Auf jeden Fall versuche ich noch einmal eine Wiederbelebungsmassnahme mit dem letzten Zwischenbericht. Nada umire posljednja- die Hoffnung stirbt zuletzt, auch hier, bei mir ;) 
3. Zwischenbericht                                                                                                               22.06.2012
Und schon ist die
Zeit fuer den letzten Zwischenbericht gekommen und meine Zeit in Sarajevo ist
so gut wie vorbei. 
Vor einigen Tagen
bin ich mit Gepaeck fuer einen Monat nach Brčko gekommen, um hier an drei
verschiedenen Camps des Jugendhauses Johannes Paul II. teilzunehmen. Das jetzige
Camp „Friedensgrund“ ist ein oekumenisches (in diesem Fall katholisch und
orthodox); die Teilnehmer leben zwoelf Tage in Zelten zusammen auf dem Gelaende
einer Gemeinde und verbringen so mit leichtem Programm ihre ersten
Ferienwochen. Das zweite Camp wird eines fuer Waisenkinder sein, bevor dann
Anfang Juli, ebenfalls in Brčko, die sog. Specializacija beginnt, der Abschluss
der Gruppenleiterausbildung. Waehrend der Zeit hier in Brčko bin ich ins
Leiterteam integriert und arbeite im Kuechenwagen. 
Das Ende meines
Freiwilligendienstes wird mit dem Ende einer kleinen Reise durch Kroatien und die Slowakei einhergehen, auf der Charlotte und ich Freiwillige unseres Zwischenseminars in ihren Dienststellen besuchen werden.
So sieht im
Groben die Zukunft aus. Nun werfe ich einen Blick auf die vergangenen Wochen
und Monate. Ein Ereignis, auf das ich mich besonders gefreut habe, war mein
Geburtstag im April. Nicht aufgrund meines Geburtstages, sondern eher, weil an
diesem Tag meine Mutter und Oma fuer drei Tage zu Besuch kamen. Wie wird es?
Was koennen wir in der Zeit machen? Wie soll ich mich verhalten? Wie werden die
beiden ueber alles denken? Wird es komisch? – das waren einige der Gedanken,
die ich mir vorher machte. Nach anfaenglicher Aufregung und dem Gefuehl, dass
es komisch ist, zwei mir nahestehende Menschen in meinem „anderen Leben“ zu
wissen, gewoehnte man sich schnell aneinander und es war uns eine pure Freude,
Neuigkeiten zu erzaehlen und vor allem tat es mir gut, ihnen kleine Einblicke
in das Leben und vor allem in die Arbeit hier zu geben. 
Waehrend und
schon vor dieser Zeit machte ich mir Gedanken ueber meinen Abschied, denn die
Zeit rannte nur so dahin und ich hatte Angst, von diesem Thema ueberrollt zu
werden. Da ich ueber all die Monate die Kinder meiner Arbeit recht gut
kennengelernt habe und sich die Persoenlichkeit eines jeden ueber die Zeit sich
mir immer mehr zeigte, beschloss ich ziemlich frueh, jedem Kind eine passende
Kleinigkeit zu schenken. Bei einigen Kindern fiel es mir recht leicht ein
persoenlichkeitsbezogenes, kleines Geschenk zu finden, bei anderen widerum
nicht. Das zeigte mir noch mal, mit welchen Kindern ich am meisten zu tun
hatte, und auch, welche Kinder ich fest in mein Herz geschlossen habe. Ergaenzend
dazu wollte ich noch etwas fuer den gesamten Raum basteln und auf diese Weise
Fotos hinterlassen. 
Nach meinem Geburtstag
schien die Zeit noch schneller zu vergehen. Meine Oma und meine Mutter waren
seit einigen Tagen wieder zu Hause und nach einer mir sehr kurzen Zeitspanne
waren schon wieder 2,3 Wochen vergangen. Waehrend im ersten halben Jahr zwei
Wochen fast schleichend vergingen, vergingen im 2. Halbjahr in dieser
gefuehlten Zeit fast zwei Monate. Das fand ich auf der einen Seite total
beaengstigend, aber mir wird klar, dass ich aufgrund der immer knapper
werdenden Zeit mehr ueber meine Arbeit, meine Beziehungen zu den Kindern, mein
Verhalten (Besserungsmoeglichkeiten?), meine Person und sonstige Aspekte
nachdachte. Das „Ende vor Augen“ hat meine Zeit sozusagen noch bereichert, da
ich alles ein wenig mehr zu schaetzen lernte. 
Etwas, was ich am
Anfang des Jahres total falsch eingeschaetzt hatte, war der Abschied.
Natuerlich ist klar, dass man nach kurzer Zeit auf der Arbeit noch keine solche
Beziehung zu den Kindern aufgebaut hat, als dass man sagen kann „oh, das wird
in 10 Monaten aber ein schwerer Abschied.“ Aber ich denke, wenn
arbeitstechnisch (sprich zwei Tage Kinderheim und zwei Tage die Woche
Behindertenschule) alles so geblieben waere, waere mein Jahr anders und
vielleicht sogar nicht ganz so erfuellend verlaufen. Erst in den letzten Wochen
wurde mir bewusst, dass der Wechsel der Arbeit eigentlich fuer mich bedeutete
und je mehr ich darueber nachdachte, desto gluecklicher wurde ich. 
Besonders wurde
mir dies bewusst, als mein Vater im vergangenen Monat zu Besuch kam. Wir
verbrachten zwei Tage in Sarajevo, bevor wir zu einem richtig tollen und
erholsamen Urlaub nach Kroatien aufbrachen und anschliessend noch einmal 3 Tage
in Saraejvo verbrachten. In diesen zeigte ich ihm u.a. meine alte
Arbeitsstaette, das Waisenhaus. Dort bin ich immer unglaublich gerne hingegangen.
Das Arbeiten hat mir grossen Spass gemacht und ich habe immer eine richtige
Geborgenheit gefuehlt. Beim Besuch mit meinem Vater fuehlte es sich dort total
anders an. Die Kinder waren mir nicht mehr so nah, ein wenig fremd geworden,
wir hatten nicht mehr die gleiche „Verbindung“. Und ich empfand die
Geborgenheit anders als vorher. Alles war dort so ordentlich; ich empfand es
teilweise schon als steril. Das Leben dort ist, so wurde mir noch einmal klar,
das komplette Gegenteil zu dem in der Behindertenschule. Ich moechte jetzt
nicht urteilen, was besser oder schlechter ist; beides hat Vor- und Nachteile.
Aber ich kann sagen, dass ich dort in der Schule grade wegen des manchmaligen
Chaos die Kinder besser kennengelernt habe und mich durch die vielfaeltigen
Aufgaben dort mehr entwickeln konnte, als es durch das taegliche
Hausaufgabenbetreuen im Waisenhaus moeglich gewesen waere. 
In der letzten
Zeit dachte ich viel ueber das oben genannte nach. Und dazu lerne ich mich und
mein persoenliches Umfeld zu Hause, meine Familie und Freunde, noch mal neu
kennen und habe einiges von anderen Blickwinkeln gesehen. Diese Dinge sind sehr
privat, aber ich kann sagen, dass das natuerlich schmerzhaft sein kann, aber
auch ungemein befreiend und erleichternd sein kann. Zu manchen Menschen, vor
allem zum engen Familienkreis, haben sich die Beziehungen gefestigt. Ich sehe
meine Verwandten mit anderen Augen, und ich glaube, sie mich auch. Aus dieser
Entwicklung kann ich Kraft schoepfen und will versuchen, Probleme und deratiges
neu anzugehen, da ich glaube, dass sich das auch bei ihnen zu Hause in diese
Richtung entwickelt hat. Vor Kurzem schrieb mir ein enger Freund, dass er der
Ueberzeugung sei, dass das Jahr das Beste ist, was uns passieren konnte. Da
kann ich ihm zustimmen. Wir waren immer ganz gut befreundet gewesen, aber auf
die Entfernung hin hat sich unser Kontakt verfielfaeltigt und vor allem
intensiviert. 
Ergaenzend dazu
lerne ich viel ueber mich selbst. Nicht zuletzt einfach schon, weil ich nicht
mehr zu Hause wohne und mit einer anderen Person zusammenlebe, die nicht direkt
auf meinem engen Umfeld kommt. Dazu kommt das alleine-leben in Sarajevo, die
Arbeit, eine neue Lebenssituation. Das macht mir vieles ueber mich selber klar.
Nun meochte ich
noch einen kurzen Blick in die Zukunft werfen, und dann den 3. Zwischenbericht
auch schon abschliessen. 
Insgesamt faengt
die Camp-Zeit hier echt gut an; definitiv viel besser, als gedacht. Denn
liebend gerne waere ich in Sarajevo geblieben und haette die letzte Zeit dort
genossen. Aber so ergibt sich jetzt eine gute Mischung aus dem Kennenlernen von
bosnischen Camps, einer letzten Woche Leben in Sarajevo, bevor das letzte Camp
mit vielen und sehr guten Freunden aus Deutschland losgeht, auf das ich mich
riesig freue. Der Abschied danach wird wohl etwas merkwuerdig, weil Lucija,
unsere Verantwortliche, vor ein paar Tagen fuer zwei Monate nach Ameika
aufgebrochen ist, aber ich werde mir Muehe geben, mich richtig von Stadt und
Menschen zu verabschieden. 
Abschliessend
kann gesagt werden, dass es mir momentan sehr gut geht. Ich blicke auf einen
unvergesslichen Freiwilligendienst zurueck, von dem ich froh bin, dass ich ihn
gewagt habe. Es ist ungalublich, wie sich meine Einstellung waehrend des
Dienstes ueber ihn veraendert hat, wie viel ich mitnehmen werde und ich hoffe,
dass ich alle neuen Erfahrungen gut in meine Zukunft einbauen kann. 
