Sonntag, 25. März 2012

Die Stadt mit dem komischen Namen, gehasste Schneeflocken und vertraute Schilder



Das Leben ist wie eine grosse Autobahn,

lass uns nicht lange überlegen, sondern losfahrn.

Wohin ist egal und wo lang werdn wa sehn,

es wird immer weiter gehn [ ]“
In diesem Sinne: Herzliche Einladung mir via Internet und vielen Buchstaben mal wieder auf einer laaaaaaaaangen imaginären Autobahn nach Sarajevo zu folgen!


Oh, Moment, nein. Stop. Da habe ich den Verlauf der Zeit vollkommen außer Acht gelassen. Verweilen wir in einer Stadt, die in Bosnien durch ihren Namen oft für allgemeine Verwirrtheil sorgt. Denn warum wird eine Stadt denn auch auf den Namen „Stein“ getauft? Viel mehr Sinn würden „Kreuz“ oder „schiefe Kirche“ machen. Nun, dass dies aber Bosnier wissen können, ist schlichtweg unmöglich: Um einen grenzübergreifenden Bekanntheitsgrad zu erlangen, müsste die beschriebene Stadt erheblich wachsen. So bleibt sie eine international unbekannte Siedlung vieler Menschen an einem schmalen Fluss, der schiefe Turm wird nie an die Popularität seines großen Bruders in Pisa herankommen und der Name Kamen (bosnisch für Stein) wird weiter für Verwirrung sorgen.


Mir egal, ich mag die Stadt trotzdem. In ihrem Herzen, nah an der Innenstadt, wartete in der Küche eines weißen Hauses auf einem Holztisch ein dampfender Teller. Königsberger Klopse nach Mamas Art! Ich sah es wieder; mein Leibgericht! Und nicht nur das. Ich sah meine Heimat wieder. Mama, Papa, Oma, Lukas… Doch bevor ich das alles genießen konnte, sah ich Schnee.


Schnee ist etwas Feines. Wer liebt ihn nicht? Stundenlanges Herumtoben, Schneeballschlachten, Schlittenfahren, das Bauen von menschenähnlichen Wesen mit Karottennase. Alles in allem ein tolles Naturereignis. Aber nicht, wenn es etwas zu verhindern droht, auf das man sich wochenlang gefreut hatte. So dachte ich Ende Dezember letzten Jahres. Mit jeder Schneeflocke, die vor unserem Fenster in Richtung Boden rieselte, begann ich den Schnee etappenweise immer schlimmer zu verfluchen. Bevor ich mich dem Schneeflockenbetrachten widmen konnte, hieß es die Wohnung wieder in ihren Lotte-und-Lena-freien Zustand zurückzuversetzen. Denn unser Abschied von den 70 Quadratmetern stand an. Seit September hatten wir in dieser voll ausgestatten Wohnung im Stadtteil Dobrinja gewohnt; und dass sie ausgestattet ist, das liegt hauptsächlich daran, dass wir dort sozusagen nur zur Untermiete gewohnt haben: Das Ehepaar, welchem die Wohnung gehört, hat eine zweite im Norden Bosniens. Diese wollten sie Anfang Dezember ganz gerne für eine absehbare Zeit von drei Monaten verlassen und mal wieder in Sarajevo wohnen. So war schon seit Anfang November klar gewesen: Wohnungssuche für die beiden deutschen Freiwilligen. Eine Fahrt über das Kamener Kreuz ohne einen Stau zu genießen? Schwer zu schaffen. Mindestens genauso schwer  ist es, eine freie Wohnung in Sarajevo zu finden. So stand erst kurz vor dem großen Event „Umzug“ fest, dass Lucijas ( = unsere Verantwortliche) Wohnung unser neues Heim werden würde. Gleichzeitig würde sie dann ausziehen. So saß ich dann am 19. Dezember zum letzten Mal auf dem Küchenstuhl in Dobrinja und versuchte meine Tötungsblicke an riesigen Wolken, die ihre Schneeflocken über der Stadt verteilten. Genügend Zeit hatte ich. Nicht genügend, sondern zu viel. Angetrieben von der Aussicht, dass wir um 11 Uhr mit dem großen, blauen Bulli abgeholt werden würden, lagen alle Anziehsachen, Schuhe, Kosmetika, Fotos, Stifte, Handtücher und sonstige private Sachen in ihren Taschen und Tüten, die Wohnung strahlte und funkelte überpünktlich und Charlotte und Lena waren gestriegelt und fertig für das Abenteuer. Leider war der Bulli nicht überpünktlich. Es gab viele Probleme bei der Koordination der beiden Umzüge. So saß ich dort und versuchte den Wolken über meine Blicke mitzuteilen, dass sie sich doch bitte vorstellen sollten, was der kommende Tag für ein Tag für mich wäre. Den Bus würde ich nicht in Richtung Arbeit nehmen, sondern stadtauswärts, bis ich den Radarturm sehen würde. Der Bus würde nicht weiterfahren, den letzten Kilometer würde ich meine rote Reisetasche hinter mir ziehen, dann über den großen Parkplatz mit den Schranken, in der Drehtür des Gebäudes würde mir warme Luft entgegenschlagen. Die rote Tasche würde ich bald darauf abgeben und im Gegenzug ein Stück Papier bekommen. Die Wartezeit würde mir gar nicht lang vorkommen. Sie würde wie im Flug vergehen. Und der selbige würde noch schneller vergehen. Nach dem Aufsetze auf Beton würde mich kurz darauf, nachdem ich einem genervten Beamten meinen Ausweis durch einen schmalen Ritz in einer Scheibe zugeschoben hätte, mein Papa auf mich warten. Hinter der Absperrung würden wir uns in den Arm nehmen (ENDLICH), bald darauf sein Auto draußen vor dem riesigen Gebäude im Wirr-warr der vielen und hektischen Menschen suchen. Die Tasche wäre verstaut, wir angeschnallt und auf dem Weg zu der Stadt mit dem komischen Namen und dem schmalen Fluss. Ein dampfender Teller würde auf mich warten. Auch meine Mutter würde ich umarmen, ihr einen Kuss geben. In einem anderen Haus, circa 2 Kilometer Luftlinie entfernt, würde mein komplett überraschter Freund völlig die Fassung verlieren. Würde. Wäre. Würde.


Der Bulli holte uns am Abend gegen 19 Uhr ab. Es war richtig anstrengend, all die Sachen ein- und auszuladen. Die Schneeflocken, die ich tagsüber noch betrachtet hatte, lagen bereits auf dem Boden und taten ihr Übriges dazu. Angekommen im ersten Stock unseres neuen Wohnhauses (Bilder davon und andere kommen gaaaaaaaaaaaaaaanz unten) hieß es kurz umgucken, abstellen und wieder heraus. Wie jedes Jahr fuhr auch letztes Jahr Sebastian Moehrchen mit seiner Hilfsorganisation „building one world e.V.“ hier nach Sarajevo, um unter anderem auch im Kinderheim Egipat, Weihnachtspakete auszuteilen. Am Abend ihrer Ankunft fuhren wir dann also in die Stadt, und mit ihnen zu reden und um sie zu ihrem Hostel zu lotsen. Dem Chaos aus Taschen, Koffern und Tüten in unserer neuen Wohnung konnte ich mich so erst spät in der Nacht widmen. Aber das musste sein: schließlich wollte die rote Reisetasche zum zweiten Mal an diesem Tag gefüllt werden, um am nächsten Tag bereit für das nächste Abenteuer zu sein. Das war ich langsam auch und die erste Nacht im neuen Bett rief! Dauerte allerdings nicht so lang an, da sich letzteres als unglaublich weich herausstellte und meinem Rücken das nicht gefiel. Die Couch im Vor-Wohnzimmer dagegen schon und so schlief ich im Jahr 2011 in unserer neuen Wohnung nur auf der Couch.


Leider zeigte auch das Fenster meines neuen Zimmers das altbekannte und zu diesem Zeitpunkt gehasste Bild. Schneeflocken. Auch in Alipašino Polje (unserem neuen Stadtteil) sahen sie genauso aus, wie in Dobrinja. Und sie waren leider auch genauso hartnäckig. Das Bild vor unserer Tür sah immerhin echt schön aus! (Bilder). Den Morgen verbrachte ich als nervöses Nervenbündel im Jugendcenter. Mein Zustand besserte sich nicht gerade, als mir gesagt wurde, dass doch gar keine Flugzeuge fliegen würden?! Ein Scherz. Gegen Mittag bat Lucija an, mich zum Flughafen zu bringen. Das „Den Bus würde ich nicht in Richtung Arbeit nehmen, sondern stadtauswärts, bis ich den Radarturm sehen würde“ wurde so ein wenig verändert, denn der Schnee machte ein Laufen mit der großen roten Tasche unmöglich. Am Radarturm angekommen, die Drehtür passiert, platzte ich vor Aufregung. Die Tasche wurde ich los, und bevor ich im Gegenzug meine Bordkarte bekam, erfuhr ich, „Ja, wir fliegen!“. Allerdings eine Stunde später. So verging die Wartezeit nicht wie im Flug; aber fast. Später, eingequetscht in meinem Sitz, die dicke Jacke auf dem Schoß, das Getränk, was bei vielen ein Tomatensaft war, in der Hand, lernte ich eine Bosnierin kennen. Sie war neben mir eingequetscht, wollte kein Getränk, nur schlafen. Und bevor sie das tat, hatten wir ein echt gutes Gespräch. Ehrlich und offen, lustig und humorvoll. In diesen Minuten über den Wolken, wurde mir so bewusst, dass ich mich mit einer Frau unterhielt, dessen Heimat dort unter den Wolken lag. Das „du“ war ungeschriebenes Gesetz in diesem Gespräch; wie in so vielen solcher Art. Man brauchte nicht lange, um warm zu werden. Nach einigen Minuten erzählte sie mir über wichtige Ereignisse ihres Lebens. Wir plauderten über unsere Vorhaben in Deutschland. Sie gab ganz offen zu, dass sie gar nicht im Kopf hatte, an was für einem Wochentag Weihnachten sein würde. Alles herrlich ehrlich und offen, ganz locker und doch ernst. Bevor ich später dem doch nicht genervten Beamten meinen Ausweis durch einen schmalen Schlitz einer Scheibe zuschob, tauschten wir noch unsere Nummern. Dann musste sie los; ihre Schwester würde sie abholen; Gepäck hatte sie nicht. Deswegen konnte sie das lange, kurvige Band außer Acht lassen. Ich dagegen nicht und wartete dort, dass meine rote Tasche auf diesem mir entgegen kam. Papa und ich umarmten uns lang. Mensch, war das schön! Alles fühlte sich zwar komisch an; die ganzen Schilder auf Deutsch, alle Menschen konnte ich verstehen, alles sah so anders aus. Der Flughafen war so riesig, viel zu viel. Wie ein paar Nummern zu groß. Und alles sah so deutsch aus. Allein schon die Schilder der deutschen Bahn, die den Weg zum nächsten Zug wiesen. Es war irgendwie ein vertrautes und irgendwie schönes Gefühl, das alles zu sehen (es mag sich zwar komisch anhören, dass so ein Gefühl bei Schildern entstand), gleichzeitig aber auch komisch. Auf einmal war ich da; von jetzt auf gleich. Ich dachte, ich passe da nicht hin und hatte Angst, dass das Gefühl zu lang andauern konnte. Was vielleicht aber auch nicht schlecht wäre, denn wenn ich nach diesen zwei Wochen das Gefühl gehabt hätte, ich bin wieder voll und ganz da, angekommen in der Stadt mit dem kleinen schiefen Turm, dann wäre das nicht optimal. Überhaupt nicht optimal.


Als ich Papa dann dort stehen sah, wir uns dann umarmten und zum Auto gingen, war dieses Gefühl noch extremer, als das, welches mit den Schildern zu tun hatte (wäre aber auch höchst merkwürdig, wenn nicht). Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, in einem Traum zu sein. Oder zumindest nicht richtig in meinem Körper zu sein. Oder fremdgesteuert zu werden. Dann kam deutsches Radio, 1live, deutscher Verkehr, die Anzeige, auf meinem Handy, dass es deutsches Netz empfing, deutsche Verkehrsschilder, eine Autobahn. Und eine Autobahn mit deutschem, abendlichem Berufsverkehr. Vor den Toren Kölns, wie am Kamener Kreuz: Deutscher Stau. Die Minuten zogen sich, die Schlange der Autos ebenfalls. „[…]wir angeschnallt und auf dem Weg zu der Stadt mit dem komischen Namen und dem schmalen Fluss. Ein dampfender Teller würde auf mich warten. Auch meine Mutter würde ich umarmen, ihr einen Kuss geben.“ Vom Prinzip definitiv richtig und mindestens genauso gut, wie in der Vorstellung. Jedoch um einige Stunden nach hinten verschoben. Wenn wir in den Ferien von einem Urlaub nach Hause gekommen sind und sich die schwere Holztür zu unseren vier Wänden sich öffnete, kam mir immer dieser Geruch entgegen. Der Geruch unseres Hauses, den man im Alltag nicht mehr wahrnimmt, nach einer Urlaubsreise halt aber sofort riecht und der einem irgendwie sofort gefällt. Nachdem ich Mama umarmt hatte und auf dem Weg zu meinem Teller mit dem besten Gericht überhaupt war, kam mir dieser Geruch entgegen und er kam mir seltsam fremd vor. Ich hatte ihn irgendwie vergessen. Genauso stark, wie er in Vergessenheit geraten war, liebte ich ihn aber wieder.


 --------> so viel am heutigen Abend, in den kommenden Tagen kommt noch mehr :)



Sonntag, 18. März 2012

...nach einer Ewigkeit... ;)


Meine Lieben,

Schon so, so, so, so lange liegt mein letzter Eintrag zurueck. Ich kann es kaum fassen... Zwischen all dem vielen, was ich in letzter Zeit erlebt habe und diesem virtuellen Ort hier im Internet, liegt immer eine so grosse Entfernung... ABER: Nun habe ich meinen 2. Zwischenbericht fuer meine Organisaiton verfasst; dort ist das wichtigste der letzten Monate grob zusammengefallst. Und das wird ein neuer 2. Anfang fuer mich sein :) Mindestens alle 2 Tage wird aus der momentag schreibfaulen Lena wieder eine berichtende Lena. Ich hoff sehr, dass ihr noch Lust habt mein Geschreibsel zu verfolgen ;)

Liebe Gruesse soweit aus dem soooooooo unglaublich fruehlingshaften Sarajevo,

Eure lena



2. Zwischenbericht nach 6 Monaten in Bosnien-Herzegowina                                                14.03.2011

Drei Monate sind seit dem Verfassen des letzten Berichtes vegangen. Die Ausreise nach Bosnien-Herzegowina liegt schon über sechs Monate zurück.

Ich finde es unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Im Vergleich zur Anfangszeit fliegen die Tage und Wochen nur so dahin. Allgemein finde ich das nicht schlecht, weil das ein Zeichen dafür ist, dass ich ausgefüllt lebe und mir mein Leben hier gefällt. Andererseits habe ich manchmal Angst, etwas zu verpassen. Dazu kommt der Gedanke, dass mir hier viele und vieles immer wichtiger wird und dass der Abschied schwerer fallen wird, als vorher gedacht.

Ein wichtiges Ereignis im neuen Jahr 2012 war das Zwischenseminar in Rumänien. Von diesem hatte ich vorher gedacht, dass ich es nicht brauchen würde. Ich fühlte mich wohl hier in Sarajevo, hatte keine konkreten Fragen oder Anliegen und wusste nicht recht, ob die Flugreise nach Sighisoara notwendig sein würde.

In dieser schönen Stadt kamen wir mit 13 anderen Freiwilligen, größtenteils der Organisation Sofia e.V., zusammen. Zunächst war es schwierig, mich in diese Gruppe einzugliedern, da alle ja derselben Entsendeorganisation angehören und sich so kannten. Doch bald wurde es besser: Das besagte Eingliedern klappte immer besser und das Programm stellte sich als interessant und hilfreich heraus. Etwas, was besonders gut tat, war das Reden mit den anderen Freiwilligen. Wir arbeiten in unterschiedlichen Ländern, fanden aber heraus, dass unsere positiven Erfahrungen und Probleme meist die gleichen oder zumindest sehr ähnlich sind. Durch dieses Reflektieren und Nachdenken wurde mir viel Gutes bewusst, ich lernte vieles neu zu schätzen. Genauso sehr fielen mir verbesserungswürdige Aspekte auf. Insgesamt tat mir das Zwischenseminar in Rumänien sehr gut. Zum einen lernte ich interessante und nette Leute und ihre Situationen kennen. Zum anderen lernte ich aber noch einmal viel über mich und sah meinen Dienst noch mal mit anderen Augen. Im Gepäck zurück nach Sarajevo hatte ich einige neue Ideen.

Eine dieser bezieht sich auf die Arbeit in der Behindertenschule. Dort sind meine Kenntnisse und Fähigkeiten beim Fußball ja hilfreich und in der Sporthalle mit den älteren Schülern anwendbar. Seit längerer Zeit war mir schon aufgefallen, dass die Kinder die Fußballregeln sehr gut kennen, jedoch kein Interesse haben, sich an diese zu halten. Von fair play ganz zu schweigen. So beschloss ich, meine Aktivität auszuweiten und nicht nur mit ihnen zu spielen, sondern als Schiedsrichterin das Spiel zu leiten. Dabei ist mein Plan, ihnen die Regeln nicht bloß „einzutrichtern“, sondern zu versuchen, ihnen zu zeigen, dass fair play etwas sehr gutes ist. An meinem ersten Arbeitstag nach dem Zwischenseminar sprach ich mit meiner Kollegin darüber. Es stellte sich heraus, dass sie eine ganz ähnliche Idee gehabt hatte. So nehme ich jetzt jeden Mittwoch und Freitag eine von den Kindern gebastelte gelbe und rote Karte mit in die Sporthalle. In den letzten Wochen ist mir dazu besonders aufgefallen, dass die Kinder nicht verlieren können. Nach einem solchen Spiel werden sie aggressiv, schießen alle Bälle durch die Halle, schreien, weinen und beschimpfen ihren Mitspieler. So habe ich die Idee insoweit ausgeweitet, als dass ich ein großes Papier besorgen werde, an jedem „Fußballtag“ das jeweilige Datum notiere und die Kinder für jeden Sieg das Wappen ihres Lieblingsfußballvereins aufkleben können. So möchte ich erreichen, dass die Kinder ihre Erfolge sehen und bei einer Niederlage ihre Stärken nicht aus den Augen verlieren.

Mit der Umsetzung der Idee geht es mir sehr gut. Natürlich gefällt es den Kindern nicht immer, dass da jemand ist, der unparteiisch ist und die Regeln anwendet. Oft gibt es aber Situationen, in denen die Kinder zeigen, dass sie die Regeln akzeptieren und auch einsehen, dass sie etwas Falsches getan haben. Das tut gut, denn ich merke, dass ich eigene Akzente setzen kann. Im Vergleich zu den ersten drei Monaten geht es mir in der Behindertenschule viel besser.

Das hat aber auch den Grund, dass ich seit 1,5 Wochen nur noch dort arbeite. Ursprünglich war geplant, dass Charlotte und ich nur getrennt arbeiten. Das hätte geheißen, dass sie eine Woche im Kinderheim arbeitet, während ich in der Behindertenschule arbeite. Nach eine Woche hätten wir dann getauscht. Auf diese Weise wäre es dann weitergegangen. Allerdings konnte dies nicht so in die Tat umgesetzt werden, denn meine Kollegin der Behindertenschule sah die Änderung nicht als etwas an, was den Kindern helfen würde. In der Woche, in der Charlotte dort arbeiten würde, würden sich die Kinder an sie gewöhnen. Nach vier bis fünf Tagen, so lang, wie das Gewöhnen dauern würde, wäre Charlotte für eine Woche wieder weg. In dieser wäre ich dann ein fremdes Gesicht für die Kinder. Sie würden sich an mich gewöhnen, hätten Charlotte dann aber wieder vergessen. So würde es dann weitergehen. Infolgedessen wurde entschieden, dass ich die Woche über (außer am Dienstag) nur noch in der Schule arbeiten würde. Diese Nachricht schockte mich. In den 6 Monaten hatte ich die Kinder des Kinderheims in mein Herz geschlossen und konnte mir nicht so recht vorstellen, nicht mehr mit ihnen zu arbeiten. Dies hatte mir immer mehr als die Arbeit in der Behindertenschule gefallen. Ein Grund dafür war, dass dort die Zeit einfach viel langsamer verging. Vor einer Woche änderte sich das aber rasant. Es fällt mir nicht leicht zu beschreiben, was genau passierte. Vielleicht kann ich es damit beschreiben, dass ich eine andere Beziehung zu den Kindern habe. Sie kennen alle, ohne Ausnahme, meinen Namen. Sie sind viel offener und ich gehe anders mit ihnen um. Ein Mädchen ist besonders für mich. Im ersten Bericht beschrieb ich sie bereits und erwähnte, dass ich sehr oft auf sie aufpassen muss. Die anfänglich überfordernde Aufgabe gefällt mir jetzt sehr. Jeden Tag, an dem ich etwas mit ihr mache, versuche ich auf sie einzugehen und sie zu fordern und zu fördern. Dies mache ich so gerne und mir liegt es sehr am Herzen, vor allem, weil ich merke, wie unbeliebt dieses Mädchen ist und wie oft sie von meinen Kollegen aufgefordert wird, sich einfach nur hinzusetzen. Ich merke, dass diese dem Mädchen so gut wie nichts zutrauen. Wenn dieses Mädchen redet, verstehe ich so gut wie nie etwas, weil sie sehr oft sehr stark lallt. Bisher hatte ich immer nur „ručak“ ( = Mittagessen) verstanden. Als es bei einem solchen letzte Woche Bananen als Nachtisch, saß ich mit ihr an einem Tisch und hielt ihre Banane in Händen. Sie schaute mich mit großen Augen an und wollte ihren Nachtisch haben. Ich sagte zu ihr, dass sie mir sagen solle, was das für eine Frucht ist; dann könne sie den Nachtisch essen. Und sie sagte tatsächlich „banana“. Danach konnte ich sie noch dazu bringen, die Bananenschale in den Mülleimer zu bringen. Eigentlich überrascht sie mich jeden Tag. Heute kam sie in den Raum, sah sich um und hang eine herumliegende Jacke an die Garderobe. Später spitzte ich Stifte an, sie setzte sich zu mir und wollte alleine einige Stifte anspitzen. Das klingt so an sich vielleicht nicht so spannend und besonders. Aber jedes Mal bewegt mich das sehr und ich fühle mich unglaublich glücklich. Durch die veränderte Situation in der Schule erlebte ich viele schöne Momente, ich erfuhr viele gute Reaktionen der Kinder und das alles führte dazu , dass ich Sonderpädagogik studieren möchte.

Insgesamt ist die veränderte Arbeitssituation, so denke ich, das beste was mir passieren konnte. Im privaten Bereich ist nun eine Tandem-Partnerin in mein Umfeld dazugekommen. Nachdem im Dezember der Sprachunterricht ausgelaufen war, beschloss ich (auch auf dem Zwischenseminar), mir eine bosnische Partnerin / einen bosnischen Partner zu suchen, um ein Sprachtandem zu bilden. Die Person würde mir Kroatisch beibringen, ich ihr Deutsch. Und so ist es dann auch gekommen: Lucija suchte mir eine solche Person, und so traf ich mich vor gut zwei Wochen mit Milica. Ich bin sehr froh, sie kennengelernt zu haben. Zum einen wird es mit dem Kroatisch jetzt weitergehen, und zum anderen tut es meinem Sozialleben sehr gut. Ich freue mich sehr darauf, durch sie weitere Bosnier kennenzulernen.

Insgesamt kann dieser Bericht positiv abgeschlossen werden. Sowohl im Bereich der Arbeit, als auch in meinem Privatleben bin ich glücklich. Manches hat sich gut entwickelt und mein Leben auf diese Weise verbessert. Das macht mich sehr froh und lässt mich positiv in die Zukunft blicken, für die ich plane, meine Kontakte zu den Bosniern zu intensivieren und auf der Arbeit weiter sehr aktiv zu handeln.